Donnerstag, 12. September 2013

Kapitel 7: Freundin

Kalter Meerwind begrüßte mich, als ich den zugeschneiten Strand entlangstapfte. Meine Haare wehten chaotisch im Wind. Ich schnaubte einen nebligen Atem. Das Meer war nicht komplett zugefroren, aber viele  Eisschollen trieben auf dem Wasser.
Es war unser verlängertes Wochenende, das wir wegen einer Lehrerfortbildung hatten. Sina hatte vorgeschlagen ans Meer zu fahren, da Niels Familie ein Ferienhaus dort besaß. So sind wir mitsamt Sinas älteren Schwester Anni, die Auto und Alkohol bereit gestellt hatte hergefahren. Es war nur eine oder fast zwei Stunden Fahrt gewesen, aber es wirkte schon ganz anders. Ich emfand es als eine angenehme Abwechslung obwohl es schon bisschen seltsam war, mitten im Winter ans Meer zu fahren.
Das Meer... Ich hatte fast vergessen, welche magische Wirkung das Meer auf mich hatte.
Oder eher gesagt... alle Gewässer hatten irendwie eine magische Anziehungskraft auf mich.
Obwohl mir das Meer manchmal auch Angst machte.
Es war schwer zu beschreiben. Als ich klein war war ich ene gute Schwimmerin. Jedenfalls wurde mir das gesagt. So sehr erinnerte ich mich eigentlich nicht daran. Aber... irgendwie bin ich seit Jahren nicht mehr geschwommen. Ich hatte es sogar beinahe vergessen wie man schwimmt. Jedenfalls kam es mir etwas seltsam vor...
Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen. Langsam würde sich die Sonne über dem Meer erheben. Es war erst sieben Uhr. Ich wusste ja selbst nicht, warum ich so früh aufgewacht war. Es war verdammt noch mal freitags. Donnerstag nachmittags waren wir losgefahren und angekommen. Am Abend hatten wir nen sehr entspannten Spieleabend, bei der wir Guitar Hero auf Niel's Wii gespielt hatten und nebenbei Lachsfillet (Sina unsere Vegetarierin hatte sich irgendetwas eigenes gemacht) gegessen hatten. Es war sehr fröhlich.
Es war diese Art Ablenkung, die ich dringend mal gebraucht hatte, um vor diesen irrationalen Ängsten loszukommen...

Und trotzdem. Irgendwie konnte ich nicht lange schlafen. Wahrscheinlich hatte ich den selben Traum wie immer, aber diesmal konnte ich mich nicht gut dran erinnern. Ich war allerdings mit einer Papiertüte am Mund zu Bewusstsein gekommen, also jah...
Am Horizont war der Himmel wunderschön rot. Leicht orange, aber vor allem rot. Ich hatte fast vergessen, wie sehr ich Sonnenaufgänge mochte. Ich atmete tief durch. Frei. So konnte man mein Gefühl beschreiben das ich gerade hatte.

Frei.

Plötzlich wurde ich auf eine Figur aufmerksam, die nicht weit von mir auf dem Boden saß. Leicht bekleidet, nur mit einer Jogginghose und einem weißem Top. Nur die Schuhe waren etwas wärmer. War ihr nicht kalt? Als ich näher kam erkannte ich sie.
Patrice sah gedankenverloren in die Ferne. Ihre hellbraunen Haare wehten sanft hin und her. Ich hockte mich neben sie. Sie schien mich ersteinmal nicht zu bemerken bis ich sie leicht antippte. Sie zuckte nicht zusammen, aber drehte den Kopf zu mir um. Ihre zweifarbigen Augen sahen mich unergründlich an.
"Pat... ist dir nicht kalt?"
Patrice antwortete nicht und richtete ihren Blick wieder auf die Ferne. Ich setzte mich ordentlich neben ihr Hin und zog meine Jacke aus. Ich hatte schließlich immerhin noch einen Pulli darunter an. Ich legte meine Jacke um sie.
"Du unterkühlst sonst noch", sagte ich.
Patrice öffnete den Mund, als wenn sie etwas sagen wollte, schloss ihn dann wieder. Dann sah sie mich noch einmal an. "Sag mal Anzu... hast du schon mal daran gedacht wie es wäre zu sterben?"
Diese Frage traf mich unvorbereitet.
"Wa... was? Ich..." Ich stotterte. Dann nahm ich tief Luft. "Warum fragst du mich das?"
Patrice sah lächelnd wieder zum Horizont. "Ich habe mal daran gedacht", sagte sie und streckte ihren linken Arm aus. Mir fiel auf, dass es eines der wenigen Male war, die sie keine Armbänder trug. Eine Narbe zog sich quer über das Handgelenk. Ich schwieg. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
"Es ist schon einige Jahre her", erklärte sie weiter, "ich war ziemlich dumm, aber was soll's... ich habe keinen Grund mehr einfach so... zu sterben." Ich sah sie nachdenklich an. "Weißt du Anzu", sagte sie, "ich habe euch echt alle sehr gern. Auch wenn ich's manchmal nicht so gut ausdrücken kann."
Ich nickte und lächelte. "Wir haben dich auch alle sehr gern Pat", sagte ich. Eine Weile schwiegen wir. Die Sonne kam langsam aus dem Horizont empor.
"Die Sonne geht auf", bemerkte Patrice. Sie lächelte. "Ja", lächelte ich zurück. Ob sie wohl sich gerne öfters den Sonnenaufgang ansah? Auch wenn wir befreundet waren, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie wenig sie eigentlich über sich erzählte. Nur manchmal, wie jetzt, bekam man einen Einblick von ihr. Und trotzdem. Nichts würde verändern, dass sie ein toller Mensch war, der in unserer Gruppe unersetzbar war.

"Unsere Gruppe".
Es war, als hätte ich vergessen, wie wohl ich mich eigentlich bei ihnen fühlte. Es stimmte mich traurig und glücklich zugleich. Ein kalter Wind ließ mich etwas frösteln.
"Achja Anzu..."
Ich sah hinüber zu Pat. Sie sah mich etwas verlegen an und wurde etwas rot. "Meinst du... ich könnte eine Chance bei Niels haben?"
Ich starrte sie an und musste unweigerlich lachen. "He... hey!", protestierte Patrice, "warum lachst du?" Ich hörte langsam auf zu lachen und grinste breit. "Sorry", grinste ich, "aber du musst zugeben, du redest recht selten über Jungs, die dir gefallen. Sogar seltener als ich und das soll was heißen!"
Patrice lächelte unsicher. Ich hakte mich bei ihr ein. "Ganz bestimmt hast du eine Chance, so wie er dich immer ansieht!", antwortete ich ihr schließlich, "ich dachte sogar, dass ihr bereits zusammen seid, so wie ihr manchmal zusammen abhängt..."
Patrice grinste. "Er ist... cool", sagte sie schließlich. Ich umarmte sie ohne Vorwarnung. Mit leichter Verzögerung knuddelte sie mich zurück. Normalerweise war es Sina, die einfach so Leute umarmte, aber mir war danach.
"Wollen wir zurückgehen?", fragte ich schließlich." Pat nickte. "Okay."

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